Christoph Müller, Initiator des Basel Composition Wettbewerbs für neue Orchestermusik, spricht im Interview über die Abwehrhaltung von Konzertveranstaltern gegen zeitgenössische Musik, die Herausforderungen des Kommerzdenkens in der Klassikbranche und die Bedeutung von Uraufführungen.
Zeitgenössische Musik ist Konzertveranstalter n ein Graus, verpasst die Klassik den Anschluss an die Gegenwart? Über 50 Uraufführung en von Orchesterwerken veranstaltete die hochdotierte Basel Composition Competition bereits. Wiedergehört hat man die Werke seither in der Schweiz kaum. Woran liegt das? Ein Gespräch mit Initiator Christoph Müller . Wer zeitgenössische Musik programmiert, darf nicht mit vollen Rängen rechnen.
Einer, der dieses Problem gut kennt, ist der Kulturmanager Christoph Müller. Seit zwei Jahrzehnten sitzt er dem Gstaad Menuhin Festival vor und amtet als künstlerischer Leiter des Kammerorchesters Basel. Im Interview spricht er über das Kommerzdenken in der Klassikbranche und die Abwehrhaltung von Konzertveranstaltern gegen alles, was nach 1950 komponiert wurde. Einen Schluss daraus zog er bereits selbst: 2017 gründete er den Kompositionswettbewerb Basel Competition für neue Orchestermusik, der heuer zum fünften Mal stattfindet. Die Komposition muss eine eigene Klangwelt erschliessen und neue Hörerfahrungen ermöglichen. In der zeitgenössischen Musik geht es nicht um einen breitenwirksamen Sound, sondern um das Experimentieren mit Klängen. Sofern der Komposition ein thematisches Sujet zugrunde liegt, wird dessen Umsetzung bewertet. Dazu: Ist die Komposition spielbar? Ein wichtiges Kriterium ist, wie es um den emotionalen Gehalt des Werkes steht. Ist es nur handwerklich gut gemacht oder spricht es auch die Seele an? Unsere Jury-Mitglieder können das einer Partitur weitgehend entnehmen. Aber der definitive Eindruck entsteht erst nach den Konzerten diese Woche. Die Prüfung der über 200 Einsendungen erfolgt völlig anonym. Die Jury weiss nicht, ob sie das Werk einer Frau, eines Mannes, einer 19- oder 93-Jährigen vor sich hat. Das ist schade. Etwa 20 Prozent der Bewerbungen stammten von Komponistinnen. Da sieht man schon: Das Problem beginnt früher, bei der Ausbildung und Motivation. Der Wettbewerb erfolgt in drei Etappen: Zunächst wählt eine fünfköpfige Jury aus den anonym eingereichten Einsendungen zwölf Kompositionen aus. Anschliessend werden die Werke ab dem 30. Januar in drei Wettbewerbskonzerten vorgestellt. Das Finalkonzert inklusive Preisvergabe erfolgt am 2. Februar im Don Bosco Basel. Insgesamt wird ein Preisgeld von 100’000 Franken vergeben, wobei drei bis vier Werke ausgezeichnet werden. Der Wettbewerb verfolge das Ziel, das Repertoire an neuer Musik für Orchester zu erweitern, heisst es auf der Website. Ziehen wir nach vier Ausgaben Bilanz: Werden die Werke auch aufgeführt? Es könnte mehr sein. Wir bemühen uns, dass die Stücke nach der Uraufführung wieder gespielt werden. Gut funktioniert hat das zum Beispiel bei Victor Ibarras «In Memoriam», Preisträger der 1. Ausgabe. Seit kurzem unterhalten wir eine Kooperation mit dem Wiener Musikverlag Universal Edition. Er wird alle bisherigen und künftigen Finalstücke veröffentlichen und betreibt dafür auch Marketing. In der Schweiz muss man vielleicht gar nicht suchen. Das Ziel ist, dass die Werke international genutzt werden. Das Hauptproblem ist, dass die bisherigen Preisträger überwiegend jung sind und keinen Verlag hinter sich haben, der die Werke auf dem Markt bekannt macht. Zusätzlich ist uns wichtig, den Finalisten neben dem Preisgeld auch ein hochwertig produziertes Konzertvideo der Basler Aufführungen mitzugeben. Heisst das, die Komponisten und Komponistinnen müssen selbst dafür sorgen, dass ihre Werke wieder gespielt werden? Ja. Sie sind die Rechteinhaber. Unsere Leistung als Wettbewerb ist es, ihnen diese Plattform zu geben. Wir haben bereits 50 Werke uraufgeführt in den bisherigen Ausgaben und über 1000 Werke angeregt, die eingesendet wurden. Sie sitzen nicht nur an der Quelle, sondern auch am Wasserhahn: Etwa als Intendant des Gstaad Menuhin Festival, wo Sie die Programme konzipieren. Dieses Jahr sind dort in insgesamt 58 Konzerten lediglich neun zeitgenössische Werke programmiert …… zwei davon sind Volksmusik, zwei Jazz. Warum die Zurückhaltung bei der zeitgenössischen Klassik? In einem Sommerfestival kommt es darauf an, das Publikum mit einem vielfältigen Programm zu begeistern. Zeitgenössische Musik hat dabei zwar ihren festen Platz, aber eine grosse Plattform kann ich ihr hier nicht bieten. Unsere Erfahrung zeigt, dass Sommerfestivals wie das Gstaad Menuhin Festival eine besondere Atmosphäre bieten, die beim Publikum mit bestimmten Erwartungen einhergehen. Das gilt auch für die Partner, die Förderkreise und den Tourismus.Es lässt sich nicht leugnen, dass zeitgenössische Musik wirtschaftlich schwieriger zu realisieren ist. Ein Festival ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen und der Ticketverkauf und das Sponsoring spielen eine wesentliche Rolle. Trotzdem spielen wir in Gstaad seit 2002 jedes Jahr ein bis zwei Uraufführungen, worauf ich ein wenig stolz bin.Das Kammerorchester Basel vergibt jedes Jahr eine Auftragskomposition, nächstes Jahr etwa an Beat Furrer
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