Anstatt mit dem bestehenden Telefondienst «AppElle!» zusammenzuarbeiten, wälzt der Kanton Bern die Telefonbetreuung für eine neue Gewalt-Hotline auf Freiwillige ab. Die Hotline soll die Istanbul-Konvention erfüllen, die die Schweiz verpflichtet, eine kostenlose, landesweite und rund um die Uhr erreichbare Telefonberatung für Gewaltopfer einzuführen.
Beim Anruf bei der Dargebotenen Hand ist das mit der Verbindung nicht so einfach. Es sind mehrere Versuche nötig, bis Franziska Nydegger, die Stellenleiterin der Dargebotenen Hand in Bern, am Apparat ist. Sich wiederholt vorstellen und den Grund des Anrufs mehrfach erklären zu müssen – ein Szenario, das in Bern künftig auch Betroffene von akuter Gewalt erleben könnten.
Im Kanton Bern konnten sich von Gewalt betroffene Frauen bisher vom Telefondienst «AppElle!» rund um die Uhr professionell beraten lassen und bei Bedarf sogar direkt in einer Schutzunterkunft untergebracht werden. Doch das Projekt wird im November eingestellt. Mit dem Beitritt zur Istanbul-Konvention hat sich die Schweiz 2018 dazu verpflichtet, eine kostenlose, landesweite und täglich rund um die Uhr erreichbare Telefonberatung für Gewaltopfer einzuführen. Sieben Jahre nach der Ratifizierung der Konvention durch die Schweiz soll die Hotline im November endlich eingerichtet werden. Der Betrieb obliegt den Kantonen. Anstatt mit «AppElle!» zusammenzuarbeiten, will der Kanton Bern künftig auf die Dienste der schweizerischen Telefonseelsorge der Dargebotenen Hand setzen – und wälzt die Telefonbetreuung damit auf Freiwillige ab, die Anrufe auf die Nummer 143 ehrenamtlich entgegennehmen.Dank «AppElle!» hätte Bern eigentlich einen erheblichen Vorsprung gegenüber anderen Kantonen gehabt. «Wir gingen davon aus, dass wir da etwas vorbereiten, das der Kanton dann hätte übernehmen und weiterentwickeln können», sagt Christine Meier, Leiterin des Projekts. Sie habe sich gemeinsam mit anderen Organisationen bereits 2018 überlegt, wie eine 24-Stunden-Telefonberatung im Sinne der Istanbul-Konvention für Frauen im Kanton Bern umgesetzt werden könnte. «Natürlich hat nicht alles ab Tag null funktioniert», erzählt Silvia Gabriel, die das Projekt als Beraterin seit Beginn im November 2019 begleitet. Seither sei «AppElle!» jedoch laufend weiterentwickelt worden. Viele Beraterinnen arbeiteten ausserdem in einem der Berner Frauenhäuser und seien mit dem Alltag und den Abläufen bestens vertraut. «Das hilft fürs Verständnis», sagt Gabriel. Die Vorarbeit, die Expertise – alles hätte dafür gesprochen, den Betrieb der neuen Hotline in Zusammenarbeit mit «AppElle!» umzusetzen. Stattdessen steht das Projekt jetzt vor dem Aus. «Für mich ist der Entscheid schwer verständlich», sagt «AppElle!»-Leiterin Christine Meier. Der Kanton liefert indessen auch keine Begründung. Auf Anfrage schreibt die zuständige Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI), man sei «in den Verhandlungen mit den Partnern für die künftige Leistungserbringung» und könne daher nicht detaillierter auf die Frage eingehen. «Wir werden aktiv informieren, sobald die Verträge unterschrieben sind.» Wie die WOZ weiss, liegen diese in Bern auf dem Schreibtisch der Dargebotenen Hand. Unterschrieben ist zwar noch nichts, allerdings ist man dort schon heute mit der Vorbereitung der freiwilligen Mitarbeitenden beschäftigt.Dass die nationale Hotline für Gewaltbetroffene in diesem Jahr in Betrieb gehen soll, ist kein Zufall. Es steht der zweite Besuch der internationalen Expert:innengruppe des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt (Grevio) an. Nach ihrem ersten Besuch im Jahr 2022 hatte Grevio der Schweiz vorgehalten, nicht genügend Geld- und Personalressourcen für die Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen aufzuwenden. Den Anforderungen an ein Beratungsangebot gemäss Istanbul-Konvention komme «AppElle!» schweizweit am nächsten, stellte noch vor wenigen Jahren das Forschungs- und Beratungsunternehmen Infras fest. Infras war von der Konferenz der kantonalen Sozialdirektor:innen (SODK) mit der Erarbeitung eines Konzepts zur Umsetzung einer Hotline beauftragt worden und hat dabei auch eine mögliche Zusammenarbeit mit der Dargebotenen Hand untersucht. Deren Angebot spreche zwar eine breite Zielgruppe an, für die Umsetzung der zentralen Telefonnummer sei das allerdings eher ein Nachteil. «Der wichtigste Grund, der gegen eine Zusammenarbeit mit der Dargebotenen Hand spricht, sind jedoch die freiwilligen Mitarbeitenden», heisst es im Umsetzungskonzept. So sei von beträchtlichen Unterschieden in der Fachkompetenz des Personals und in der Beratung von Gewaltopfern auszugehen. Denn «neben der grundsätzlichen Frage, ob es vertretbar ist, dass Freiwillige eine staatliche Aufgabe übernehmen, stellt sich bei Freiwilligen auch die Frage, ob sie aufgrund des Erfahrungsschatzes, des Arbeitsumfangs sowie der allenfalls weniger spezifischen Weiterbildungen den Anforderungen an die Qualifikation des Personals entsprechen können». «Wir sind keine Profis», sagt Franziska Nydegger, die Berner Stellenleiterin der Dargebotenen Hand. «Aber wir arbeiten mit gut ausgebildeten freiwilligen Mitarbeitenden.» Diese absolvieren einen achtmonatigen Kurs – auch zu Themen wie Opferhilfe und häuslicher Gewalt
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