Zehn Tage vor der Wahl in Deutschland ist es in München zum fünften Anschlag innerhalb weniger Monate gekommen. Ein 24-jähriger Afghaner hat ein Auto in eine Gewerkschaftsdemonstration gelenkt und mindestens 28 Menschen verletzt. Politikwissenschaftler Aiko Wagner erklärt, wie dieser Anschlag die politischen Debatten und die Wahl beeinflussen könnte.
Zehn Tage vor den Wahlen ist es in München mutmaßlich zum fünften Anschlag innerhalb weniger Monate in Deutschland gekommen. Ein 24-jähriger Afghanen hat ein Auto in eine Gewerkschaftsdemonstration gelenkt und dabei mindestens 28 Menschen verletzt, darunter auch Kinder. Die deutsche Bevölkerung ist schockiert – und das Thema Migration rückt einen Schritt weiter in den Vordergrund. Was heißt das für die anstehenden Wahlen? Politik wissenschaftler Aiko Wagner erklärt.
Herr Wagner, in zehn Tagen wird in Deutschland gewählt – stellt dieser Anschlag nun alles auf den Kopf? Nein, das glaube ich nicht. Der Wahlkampf war ohnehin stark vom Thema Migration geprägt. Der Anschlag verstärkt diese Debatte, aber er dreht den Wahlkampf nicht um. Wir werden in den kommenden Tagen eine noch intensivere Diskussion über Ausschaffungen, Asyl und Migration erleben. Migration ist das Hauptthema der AfD. Wird die Partei jetzt stärkste Kraft und Alice Weidel Kanzlerin? Nein, das halte ich fast für ausgeschlossen. Einerseits, weil es der AfD an einem Koalitionspartner fehlt. Ich halte die CDU/CSU für stabiler als etwa die ÖVP in Österreich, sie wird keine Zusammenarbeit mit der AfD eingehen. Andererseits hat die AfD ihr Wählerpotenzial schon beinahe ausgeschöpft. Sie liegt derzeit bei 21 Prozent, maximal wären vielleicht 25 Prozent denkbar. Die CDU/CSU hingegen hat ein grösseres Potenzial. Man hört, dass Wähleranteile von bis zu 50 Prozent möglich wären. Das ganz auszuschöpfen wird aber kaum möglich sein, weil sich ihr Potenzial auch mit anderen Parteien überschneidet. Trotzdem: Die Parteien, die sich kritisch zur Migration äussern, profitieren am ehesten von einem solchen Anschlag – also die AfD und CDU/CSU. Friedrich Merz wird wahrscheinlich Kanzler. Wie wird er den Anschlag nutzen? Ich denke, er fühlt sich durch den Anschlag in seinem harten Kurs bestätigt – insbesondere bei der Frage der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. So fordert er etwa, Ausreisepflichtige in leer stehenden Kasernen in Haft zu nehmen. In Deutschland gibt es tatsächlich viele ausreisepflichtige Menschen. Das Thema wurde bis zum Attentat von Aschaffenburg nicht als Priorität behandelt. Mit dem Vorfall in München wird es – und die Migration generell – noch dominanter zum Thema werden. Das Klima und die Wirtschaft werden weiter in den Hintergrund rücken. Werden die letzten Tage des Wahlkampfs im Zeichen von München stehen? Der Anschlag ist ein tragisches Ereignis, aber er verstärkt vor allem bestehende Dynamiken. Das Thema Migration war schon vorher zentral. München gibt dem Wahlkampf eine noch emotionalere Note, die grundlegenden Strukturen wird es aber nicht verändern. Die politische Debatte muss differenzierter geführt werden. Abschottung allein ist keine Lösung – das hätte weder die Anschläge in Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg noch in München verhindert. Werden nun explizite Lösungen für die Migrationsproblematik aufs Tapet gebracht? Die Rückschaffung von ausreisepflichtigen Asylbewerbern ist ein komplexes Thema. Zum Beispiel: Die Attentäter von München und Aschaffenburg waren beide ausreisepflichtige Afghanen. Doch: Deutschland erkennt die Taliban-Regierung in Afghanistan nicht an, weshalb es an einem Partner für Rückschiebungen im grossen Stil fehlt. Für solche Probleme gibt es keine konkreten Lösungen in der politischen Debatte, es wird vielmehr Symbolpolitik mit dem Thema betrieben – das wird sich auch jetzt nicht ändern. Die Forderung nach schnellen Massnahmen bleibt oft vage. Die Linke hatte Wählerzuwachs – inwiefern können sie jetzt überhaupt noch mithalten? Müssen sie in die Offensive? Die Linke hat bisher davon profitiert, dass sie sich im Gegensatz zu den anderen Parteien nicht für Grenzschliessungen und ähnliche Massnahmen ausspricht. SPD und Grüne sind mittlerweile auch auf einen härteren Kurs in der Migrationsdebatte umgeschwenkt, auch was die Neuaufnahme von Geflüchteten betrifft. Deshalb wäre ein Kurswechsel für die Linke sicher nicht förderlich. Allgemein gilt: Solange Migration als Problem wahrgenommen wird, werden linke Parteien kein politisches Kapital daraus schlagen können. Es gelingt keiner rot-grünen Partei, Migration als Chance darzustellen. Ich sehe gerade keine gute Lösung für linke Kräfte
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