Die Eröffnung des Luzerner Klavierfestivals «Le Piano Symphonique» vermittelte ein ungewöhnliches Erlebnis. Während Fazıl Say mit Bach und Mozart für Begeisterung sorgte, lösten die Lieder von Eisler und Weill, dargeboten von Kirill Gerstein und HK Gruber, einen massiven Publikumsabgang aus. Trotz der polarisierenden Wirkung des Programmes signalisierte das Festival seinen experimentellen Ansatz und verspricht weitere spannende musikalische Abenteuer.
Erst gibt das Publikum Standing Ovations, dann verlässt es das KKL reihenweise – eine historische Festival-Eröffnung «Das habe ich noch nie erlebt», klingt es an der Eröffnung des Luzerner Klavierfestival s flüsternd. Gemeint ist das Verhalten des Publikum s. Doch auch die Musik war bewegend.
Wann hat man als Festival etwas gewagt? Wenn die Hälfte des Publikums im Verlauf des Abends den Saal verlässt? Oder wenn mit einem Programm, einer Interpretation wirklich Fragen aufgeworfen werden? Die Eröffnung des Klavierfestivals «Le Piano Symphonique», das vom Luzerner Sinfonieorchester das vierte Mal ausgerichtet wird, erfüllt beide Kriterien, denn Risikoaversion kann hier niemandem vorgeworfen werden. Das beginnt schon beim angedachten Programm: Fazıl Say spielt Bachs Goldberg-Variationen, dazu Mozarts Sonate Nr. 11 «alla Turca», im zweiten Akt (so nennt das Festival seine in sich schon konzertfüllenden Programmteile) Lieder aus den 1920er- und 1930er-Jahren von Hanns Eisler und Kurt Weill, aufgeführt von Kirill Gerstein am Klavier und HK Gruber als Chansonnier. Für ein Festival, das den sinfonischen Charakter des Klaviers schon im Titel beschwört, ist das eine bemerkenswerte Auswahl zur Eröffnung. Diesen Abend sozusagen als Aushängeschild zu programmieren, zeigt, dass hier experimentiert werden darf und will. Ein Experiment zwar, bei dem das KKL weit von ausverkauft bleibt. Das bestätigt auch Intendant Numa Bischof Ullmann in seiner Begrüssung: Es sei ein Abend, wie man ihn sonst nirgends erleben kann. Wie recht er doch hat, wird sich noch zeigen. Doch der Reihe nach. Erst gehört Say und Bach die Bühne. Says Füsse schweben über dem Boden, er stützt sie hauptsächlich auf den Pedalen ab, die er grosszügig über weite Linien legt. Auch mit der Agogik, der rhythmischen Freiheit, geht er nicht sparsam um. Gesten und Laute unterstützen den gesuchten musikalischen Ausdruck, binden auch dem Publikum die Intention auf die Nase. Da reckt er die Faust in die Höhe, knurrt grimmig. «Aha! Inbrunst.» Hätte Bach heute genau so gespielt? Stellt sich diese Frage für Say überhaupt? Kaum erklingen die ersten paar Töne der Mozart-Sonate, wird klar: Der Herr spielt Oper. Natürlich wird das in Mozart offenbar, der so stilechter wirkt als noch der Bach. Für seliges Wegdämmern blieb weder während der Bachstunde zuvor Raum noch während der knackigen Viertelstunde, die er für Mozart braucht. Im berühmten Rondo haut er – man kann es nicht anders sagen – den Bass in die Tasten, als wären es Trommeln. Als Zugabe spielt Say sein eigenes «Black Earth» und geht damit konsequent den Weg zu Ende, den er bereits eingeschlagen hatte: Weit weg vom demütigen Interpreten im Dienst des Werks hin zum Künstler und Komponisten, der sich jedes Werk zu eigen macht, bis es nur noch seine Musik gibt. Das Publikum goutiert’s und steht dankend zustimmend geeint auf. Dannach geht’s zur Zwischenverpflegung, denn die ist bei diesen Mammutkonzerten notwendig. Schon nach der Pause sitzen merklich weniger Menschen im Saal. Das verschärft sich im Verlauf der Lieder noch. Gerstein spielt wunderbar expressiv, nonchalant, hält Ton und Rhythmus irgendwie beisammen. HK Gruber ist – nun ja – HK Gruber. Er poltert, schreit, näselt, säuselt sich durch das Werk von Eisler, Weill. Etwas aus der «Dreigroschenoper», Kampflieder, auch kurze Geschichtsstunde zu Schönberg und seiner Ästhetik. Ein Zyklus mit nach brechtscher Verfremdungstechnik bearbeiteten «Zeitungsausschnitten» von Eisler verursacht einen Exodus. Nach jedem einzelnen Stück verlassen Leute den Saal. «Das habe ich noch nie erlebt», flüstert es hinter und neben mir und in meinem Kopf. Die Stücke haben es bereits erlebt. Eisler schreibt selbst: «Sie schockierten das Publikum bei der ersten Aufführung ganz enorm.» HK Gruber moderiert schon zu Beginn, im Programm ginge es um Zusammenbruch und Katastrophen, genau wie heute, nur 100 Jahre früher. Und so wiederholt sich auch der Widerstand des Publikums. Zugegeben, «schön» ist es nicht, was da geboten wird. Marxistische Texte zum Mitschreien an Demonstrationen und Sprechgesang. Doch man kriegt geboten, was angekündigt war. Zu sehen war ein Publikum, das sich vorgängig nicht informiert (anders ist das kaum zu erklären) und eine Kunstform an falschen Massstäben gemessen hatte. Hier wurde experimentiert, hier wurde teils gescheitert. Aber nicht an der Musik. In den nächsten Tagen darf man auf weitere Experimente gespannt sein. Und ein Teil des Publikums gewarnt. Für die stolzen Eintrittspreise erwartet der gutbetuchte ältere Besucher solcher Konzerte, dass die Musik auch harmonische Komponenten aufweist, wie Mozart, Bach und anderen, in ihren Kompositionen eingebaut haben. Für Leute die ein Geschrei aufführen oder den Flügel zu Schanden treten, wie beschrieben, ist das KKL nicht der richtige Ort. Gut hat das Publikum ein Zeichen gesetz
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