Ruth-Maria Thomas, Domenico Müllensiefen, Clemens Meyer: Drei eindrucksvolle Romane und die Frage nach der Faktentreue.
Ein Roman ist kein Sachbuch. Das gilt auch für Texte über Ostdeutschland nach dem Mauerfall. Drei Neuerscheinungen zeigen eindrucksvoll, warum Literatur mehr sein muss als bloss faktentreu.
Nach der Anzeige zieht Jella wieder bei ihrem Vater in ihr altes Kinderzimmer ein und fragt sich, wie es so weit kommen konnte. «Die schönste Version» ist die Geschichte einer feministischen Selbstermächtigung, indem sie die Ohnmacht der Hauptfigur zum Thema macht. Ruth-Maria Thomas schreibt entschlossen gegen die Sprachlosigkeit, die Starre und innere Verhärtung an, die sexualisierte Gewalt oft nach sich zieht.
Das neue, mit autofiktionalen Anspielungen gespickte Buch wechselt zwischen dem Sommer 2002, in dem sich Vanessa totfuhr, und dem Sommer 2023, in dem Steffi wieder auftaucht, während der 1. FC Magdeburg in der 2. Fussball-Bundesliga für Hoffnung sorgt. Und die ist bitter nötig, denn «das, was uns als Aufschwung verkauft wurde, war schon nicht mehr Stillstand, es war eher Abbau. Abbau Ost.
Als Leserin wird man mitgerissen von dieser bedrückenden Geschichte kleiner Leute aus den Nullerjahren, die nicht einfach Opfer der Umstände sind, sondern ihre Entscheidungen selbst getroffen haben. Die grossen Versprechen werden nie Wirklichkeit, stattdessen zerrüttete Verhältnisse, wohin man schaut. Die wiederum bestärken den trotzigen Rückzug der Enttäuschten in Fremdenhass und Idiotie.
Der Cowboy ist einer der vielen mysteriösen «Projektoren», auf die der Romantitel anspielt. Sie präsentieren ihre Perspektive auf das gewaltvolle 20. Jahrhundert. Ein anderer ist ein gewisser «Dr. May», der hier aus den verstaubten Buchregalen steigt und die Erzählung bis nach Amerika führt: Das Kapitel, in dem Meyer die faschistische «Vergiftung» seiner Figur beschreibt, ist ein Wenderoman für sich. Meyer räumt hier endgültig mit dem Märchen der antifaschistischen DDR auf.
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