Die Geschichte eines jungen Mannes mit schwierigen Lebensumständen, der sich an einem Tankstellenüberfall beteiligt und Ovomaltine als Heroin verkauft. Das Gericht verzichtet trotz des kriminellen Lebenswegs auf einen Landesverweis.
Vor etwa drei Jahren beraubte ein Mann einen Tankstellenshop in Arbon. Zwei Komplizen halfen ihm dabei. Einer von ihnen stand letzte Woche vor dem Bezirksgericht Arbon. Seine Geschichte ist die eines Kindes mit einer schwer drogenabhängigen Mutter und einem früh kriminell gewordenen Bruder. Es ist ausserdem die Geschichte eines jungen Mannes, der sich im Drogenrausch vom dritten Stock eines Hauses stürzt. Mit einem E-Scooter floh ein Tankstellenräuber vor drei Jahren in Arbon.
Das Fahrzeug hatte ihm ein Kollege zur Verfügung gestellt. Dieser stand diese Woche vor Gericht. Der Angeklagte redet in einem leicht lallenden Ton, und er wirkt fahrig. Er hat vor der Verhandlung ein Medikament genommen, das ihm beim Drogenentzug hilft. An vieles kann oder will sich der 24-Jährige nicht mehr erinnern. Jedenfalls nicht an alle Details der Straftaten, wegen deren er sich vor dem Bezirksgericht Arbon an diesem Morgen verantworten muss. Und dabei sei sein Zustand enorm viel besser als in den letzten vier Jahren, seit er mit ihm zu tun habe, sagt sein Anwalt. «Noch vor einem Jahr musste ich ihm immer alles zehn Mal erklären, ohne sicher sein zu können, dass er alles verstanden hat.» Kokain, Heroin und anderes mehr hatten damals seine Sinne benebelt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem geständigen jungen Mann vor, Anfang Dezember 2021 kurz nach 9 Uhr beim Überfall auf die BP-Tankstelle an der Landquartstrasse in Arbon beteiligt gewesen zu sein. Er wartete mit einem Kollegen in einem Auto beim rund 400 Meter entfernt liegenden Sportplatz Schöntal. Der Dritte im Bunde holte sich mit Waffengewalt das Geld, so wie er es ein Jahr zuvor an gleicher Stelle schon gemacht hatte. Der damals 21-jährige, in nächster Nähe wohnende und im Sommer 2023 verstorbene Räuber drohte der Verkäuferin mit einem Messer und erbeutete rund 1600 Franken. 350 Franken erhielt der Angeklagte für seine Gehilfenschaft, die im Wesentlichen darin bestand, seinem Jugendfreund einen E-Scooter als Fluchtfahrzeug zur Verfügung gestellt zu haben. Der Plan ging nicht auf. Die Polizei konnte das Trio im Zuge der sofort eingeleiteten Fahndung in der näheren Umgebung kurze Zeit später festnehmen. Im Frühling des letzten Jahres machte sich der Angeklagte ausserdem des Betrugs schuldig. Im Auftrag einer Drittperson verkaufte er einem Mann am Bahnhof Arbon vier in Alufolie eingewickelte Kügelchen aus Ovomaltine als Heroin und verlangte dafür 620 Franken. Dummerweise war der Geprellte ein verdeckter Fahnder der Polizei. Der Angeklagte ist im Oberthurgau aufgewachsen und hatte ausserordentlich schlechte Karten für ein gutes oder zumindest einigermassen normales Leben. Die Eltern liessen sich scheiden. Der Vater arbeitete viel, die Mutter war schwer drogenabhängig. Sie starb vor zwei Jahren mit 48, nachdem sie zuvor dreimal versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Der zweieinhalb Jahre ältere Bruder geriet bereits mit 13 Jahren auf die schiefe Bahn und landete schliesslich in einem Heim. Mit 16 stand er auf der Strasse und blieb ohne Berufsausbildung. Eine geregelte Arbeit fand er nie. Heute lebt der 26-Jährige vermutlich in Polen, dessen Staatsbürgerschaft er besitzt. Wegen eines Raubüberfalles vor vier Jahren in Arbon, Diebstahls, Hausfriedensbruchs, Drogendelikten und Gewaltanwendung verurteilte ihn das Bezirksgericht Arbon im Sommer 2022 nicht nur zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren, sondern sprach auch einen Landesverweis von acht Jahren aus. Damals sass der Mann bereits fast zwei Jahre hinter Gittern im Rahmen des vorzeitigen Strafvollzugs. In seiner neuen Heimat dürfte er es nicht einfach haben. Einzige Bezugsperson dort sei eine Grossmutter, sagte sein Anwalt an der Gerichtsverhandlung. Ein Landesverweis drohte auch dem jüngeren Bruder. Doch das Bezirksgericht Arbon verzichtet darauf und folgt damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Beide werten die sehr schwierigen Lebensumstände des jungen Mannes als strafmildernd. Er hat chronische Schmerzen in einem der beiden Beine, das ein paar Zentimeter kürzer ist als das andere. Es sind die Spätfolgen eines Fluges mit harter Landung. 2022 stürzte sich der Angeklagte im Drogenrausch aus dem dritten Stock eines Hauses. Danach lag er sieben Monate im Spital und musste sich sechs Operationen unterziehen. Doch nicht nur der Körper ist ramponiert. Auch psychisch ist der Angeklagte angeschlagen. Vor vier Jahren diagnostizierten die Ärzte Epilepsie bei ihm. Seither kann er nicht mehr als Drucker arbeiten – sein Lehrberuf. Das Problem: Der Lärm könnte Anfälle auslösen. Nach eigenen Angaben ist der Mann zudem kognitiv eingeschränkt und in psychiatrischer Behandlung. Im Moment wohnt er beim Vater, lebt von der Sozialhilfe und hofft auf eine IV-Rente, die in Prüfung ist. Im nächsten Monat beginnt er in einem Beschäftigungsprogramm einer Sozialfirm
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