Rahel Wunderli, Historikerin an der Universität Luzern, untersucht die Zukunft der Schweizer Commons, wie Korporationen und Bürgergemeinden, die gemeinschaftlich Besitz verwalten.
Rahel Wunderli erforscht Schweizer « Commons » wie Korporationen und Bürgergemeinden , die ihren Besitz gemeinschaftlich verwalten. Sie weiss: Wenn diese jahrhundertealte Organisationsform überleben will, muss sie in Bewegung bleiben. Die Historikerin Rahel Wunderli hatte keinerlei Berührungspunkte mit Korporationen , ehe sie sich im Rahmen ihrer Dissertation mit der Landwirtschaftsgeschichte des Urserntals auseinandersetzte – und dabei den Einfluss der örtlichen Körperschaft feststellte.
Heute kennt sie deren Tragweite. Ihr Fokus liegt auf «Commons», wie die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom die Formen der kollektiven Eigentumsverwaltung wie Korporationen und Bürgergemeinden zusammenfasste. Wunderli forscht in erster Linie am Urner Institut Kulturen der Alpen, einem An-Institut der Universität Luzern. Ausserdem ist sie neuerdings Stiftungsrätin des Schweizerischen Agrarmuseums Burgrain in Alberswil. Rahel Wunderlis Forschungsgegenstand ist überall: Hinter der Baumreihe in der Ferne beginnt das Grundeigentum der Korporation Willisau.Das hat damit zu tun, dass ihre ländlichen Ressourcen – Wälder und Alpen – nur noch einen kleinen Teil der Bevölkerung direkt betreffen und stark an monetärem Wert eingebüsst haben. Damit haben sie zu kämpfen. Um überhaupt noch wahrgenommen zu werden, müssen sie kommunizieren, dass sie Arbeit für alle machen. Ihr Bürgerrecht wird in erster Linie vererbt. Ist das nicht ein Widerspruch zum Gemeinnutzen, den sich die Commons auf die Fahne schreiben? Natürlich ist das ein Werbeslogan, es geht um politische Legitimation. Heute wird nicht mehr einfach hingenommen, dass Menschen nur aufgrund ihrer Geburt rechtliche Vorteile geniessen. Ein weiterer grosser Knackpunkt war, dass sie bis kurz vor der Jahrtausendwende sehr männerdominiert waren. Diesen Ausschluss der Frauen können sich die Körperschaften nicht mehr leisten, wenn sie ein gewisses Gewicht behalten wollen. Doch sie haben nicht unrecht, was den Gemeinnutzen betrifft.Es ist gemeinsames Eigentum, daran kann sich heute niemand mehr im grossen Stil bereichern. Ein Beispiel: Die Bürgergemeinde an meinem ehemaligen Wohnort im Aargau besitzt eine grosse landwirtschaftliche Fläche, auf der sie Kies abbauen könnte. Rein monetär liegt da quasi eine Goldgrube, doch ein Kieswerk würde das Dorf stark beeinflussen. Ich bin froh, denken sie im Sinne der Bevölkerung und verzichten deshalb darauf – zumindest vorläufig.Weil das Bürgerrecht vererbt wird, gibt es im Allgemeinen einen gut funktionierenden Wissenstransfer zwischen den Generationen. Ausserdem haben die Bürgerinnen und Bürger einen Bezug zum Land, in dessen Nähe sie wohnen. Das führt zu einem Verantwortungsgefühl und zu einer grossen Bereitschaft, sich zu engagieren – häufig ehrenamtlich. Aber klar: Sie handeln in einem unlösbaren Dilemma, das sie fein austarieren müssen.Ohne Privileg wäre das Engagement nicht da. Es führt zu einer ganz eigenen Form von Commitment. Korporationen sind nicht einfach Vereine, bei denen alle Mitglied werden und jährlich etwas einzahlen können, bis sie keine Lust mehr haben. Unserer heutigen Gesellschaft ist so etwas ziemlich fremd.Das sehen wir wohl alle bei uns selbst: Zu unserem privaten Eigentum tragen wir mehr Sorge als zu Allgemeingut. Es braucht klare Regeln, damit das funktioniert. Meines Erachtens sind diese Regelwerke die grösste Leistung der Commons. Kürzlich war ich in Guttannen am Grimselpass, wo viele Weiden jedes Jahr von Lawinen verschüttet werden.sorgt dafür, dass alle, die ihr Vieh auf die Weide bringen, bei der Weidepflege mithelfen. Dafür hatten sie ein ausgeklügeltes und strenges Regime. Weil es immer weniger Bauern wurden, mussten sie es aber teilweise drastisch anpassen. Korporationen sind personell und finanziell unter Druck, auch in Luzern haben sich einige aufgelöst. Sind sie trotzdem zukunftsfähig? Wenn man Privilegien und Engagement ausgleicht, haben Commons in meinen Augen absolut eine Daseinsberechtigung: Da werden viele Leistungen erbracht, die der Staat nicht bezahlen muss. Das ist mitunter der Grund, warum Korporationen bis heute nicht abgeschafft worden sind. Und wenn ich sehe, welche turbulenten Zeiten sie bereits durchstanden haben, bin ich überzeugt, dass sie auch weiterhin einen Weg finden. Zumindest jene, die sich mit ihrem Eigentum eine einigermassen stabile finanzielle Basis aufbauen konnten. Sie brauchen dafür aber die Unterstützung der öffentlichen Hand – zum Beispiel in Form von Zuschüssen an die defizitären Bereiche.Es wird interessant, ob sich die Energiewende zu ihren Gunsten entwickelt: Was geschieht beispielsweise mit dem Holzpreis und wie reagieren sie darauf? Gleiches gilt auf den Alpen, wo sie einen gewissen Entscheidungsspielraum haben. Hier stellt sich aktuell unter anderem die Frage nach Solarenergie.Ich würde es ihnen gönnen, dass sie solche Projekte realisieren können, den Gemeinnutzen aber nicht aus den Augen verlieren. Im letzten Jahrhundert haben sie erfahren, dass sie nur existieren können, wenn sie ihr Umfeld berücksichtigen und von ihm anerkannt werden. Ich wünsche ihnen, dass sie Frauen und junge Leute in ihre Gremien lassen. Und dass sie sich ehrlich und öffentlich mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen, sowohl mit den Sonnen- als auch mit den Schattenseiten
SOZIOLOGIE Commons Korporationen Bürgergemeinden Eigentumsverwaltung Rahel Wunderli Universität Luzern
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