Magnitski-Affäre: Die Schweiz und die verdächtigen Millionen aus Russland

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Eine eingehende SWI-Recherche geht der Frage nach, warum Millionen aus einem russischen Steuerbetrug in der Schweiz nicht untersucht wurden.

Eine exklusive Recherche von SWI swissinfo.ch zeigt, wie es die Schweiz versäumt hat, mutmasslichem Schwarzgeld in Millionenhöhe aus einem Steuerbetrug in Russland nachzugehen.Über 20 Jahre Erfahrung im Journalismus. Absolventin der Fakultät für Journalismus der Staatlichen Universität Moskau und des Institut français de presse . Ehemalige TV- und Radiomoderatorin in Frankreich und Russland. Fachgebiete: internationale Beziehungen und Menschenrechte.

“Herr Gross? Sind Sie Andreas Gross? Sie haben absolut recht”, ruft eine unbekannte weibliche Stimme. Andreas Gross dreht sich um. Vor dem Schweizer Politiker steht eine Frau in ihren Fünfzigern, die erleichtert scheint, dass sie Gross nicht mit jemand anderem verwechselt hat. Wir haben zahlreiche Personen für diese Recherche kontaktiert – Gross ist einer der wenigen, die sich zu einem Interview bereit erklärt haben.Beim Bruder der Frau handelt es sich um Vinzenz Schnell, der im Dienst der Bundespolizei stand, tatsächlich aber für die Bundesanwaltschaft Fälle im Zusammenhang mit Russland betreute.

Sergei Magnitski war ein Moskauer Steueranwalt, der 2009 unter ungeklärten Umständen im Gefängnis ums Leben kam, nachdem er einen gigantischen Betrug im russischen Finanzministerium aufgedeckt hatte. Der Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber hält am 5. Oktober 2016 in Singapur einen Vortrag zum Thema “Der Schweizer Ansatz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität”.Sie sollen finanzielle Nutzniesser des Betrugs gewesen sein und dafür Geld auf ihre Schweizer Konten erhalten haben. Die Bundesanwaltschaft zog 4 Millionen Franken ein und überwies die restlichen 14 Millionen an die drei Russen zurück.

Er verbrachte fast ein Jahr in Untersuchungshaft und starb 2009, nachdem er vom Gefängnispersonal verprügelt worden war. 2012 wurde in den USA der nach Sergei Magnitski benannte “Magnitsky Act” verabschiedet. Er wurde später in der Europäischen Union, Grossbritannien, Kanada, Australien und anderen Ländern übernommen – nicht aber in der Schweiz.

Das Bundesamt für auswärtige Angelegenheiten und die Bundesanwaltschaft wiesen die Anschuldigungen der Helsinki-Kommission jedoch entschieden zurück. Ein abschliessendes Urteil durch ein US-Gericht steht noch aus. SWI swissinfo.ch hat die Herkunft dieser unbeachteten 10 Mio. US-Dollar unter die Lupe genommen und zeichnet nach, wie sie in die Schweiz gelangten und warum sie von der Schweizer Bundesanwaltschaft nie untersucht wurden. Das Geld gehörte dem russischen Senator Dmitry Savelyev und dem russischen Investmentbanker Igor Sagiryan.Im September 2019 wurden mindestens 2 Millionen US-Dollar von Klyuevs UBS-Konten auf ein anderes Geschäftskonto in der Schweiz überwiesen.

Damit waren sie gleichzeitig Kläger und Beklagte und brachten die russischen Schiedsgerichte so dazu, ein Urteil zu fällen, das zu einem massiven Buchverlust führte, wodurch die Firmen rückwirkend gar keinen Gewinn erwirtschaftet hatten. Als zweites folgt die so genannte “Verschleierungsphase”, in der das Geld zwischen verschiedenen Konten von Briefkastenfirmen verschoben wird, um seine Herkunft zu verschleiern.

Bisweilen vermischt sich gewaschenes Geld auch mit sauberem Geld, womit es für die Behörden noch schwieriger wird, die Herkunft des inkriminierten Geldes zu klären. Mit anderen Worten: Die Bundesanwaltschaft hat den Betrag der mit jeder Verschleierungsstufe noch mehr verwässerten Gelder einfach geschätzt und so berechnet, welche Summe letztlich eingezogen wurde.“Wenn diese Angaben der Bundesanwaltschaft stimmen, wären wir das Geldwäschereiparadies schlechthin.

Hermitage Capital hat vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona Berufung eingelegt, wurde jedoch abgewiesen. Im Dezember 2022 gelangte Hermitage deshalb ans Bundesgericht, dessen Urteil noch aussteht.Die Einstellungsverfügung der Bundesanwaltschaft führte zu breiter Kritik, sowohl für den Entscheid, die eingefrorenen Gelder wieder zurück nach Russland zu überweisen, als auch dafür, dass der Status von Hermitage Capital als Privatklägerin aufgehoben wurde.

Lauber, unter dessen Leitung die Magnitski-Affäre neun Jahre lang untersucht worden war, trat 2020 zurück, nachdem das Schweizer Parlament zum ersten Mal überhaupt ein Amtsenthebungsverfahren gegen einen Bundesanwalt eingeleitet hatte. Das Geld, das auf zwei Schweizer Banken – BSI LTD und Bordier & Cie – überwiesen wurde, konnte zwar Klyuev zugewiesen werden, wurde aber von der Bundesanwaltschaft nie untersucht.

Korobeinikov konnte Klyuevs Aussage aber weder bestätigen noch dementieren: Er starb 2008 durch den Sturz aus dem Fenster einer Penthouse-Wohnung, die er in möglicher Kaufabsicht im Rohbau besichtigte. Eine Strafuntersuchung zu Korobeinikovs Tod wurde in Russland eingeleitet, später aber eingestellt.

Aus Klyuevs Privatkonto und seinen Firmenkonten bei der UBS wurden insgesamt 4,9 Mio. US-Dollar auf ein Konto der Altem Invest Limited, BVI, bei der zypriotischen FBME Bank überwiesen. Ein Teil dieses Geldes wurde danach bei der gleichen Bank auf das Konto einer anderen Firma mit dem Namen Zibar Management Inc. transferiert.

Nachdem Klyuevs Konto 2011 saldiert worden war, wurden die Rechnungen der Schule 2010 und 2011 vom Altem-Konto bei der FBME Bank in Zypern beglichen, 2012 dann vom Zibar-Konto bei der gleichen Bank. Zwischen 2012 und 2013 tauchten auf den Geschäftskonten des russischen Senators Dmitri Saweljew und seiner Frau Olga insgesamt 8 Millionen US-Dollar auf.Die Konten der beiden Firmen Green Island Investors Corp, BVI, und Roy Finance SA lagen bei BSI LTD, heute EFG International, einer Schweizer Bank in Lugano. Die Überweisungen erfolgten direkt von Zibar Management Inc., einer von Klyuevs Firmen mit Konten bei der FBME Bank in Zypern.

Obwohl Klyuev 2006 verurteilt wurde und dies öffentlich bekannt war, behielt er seine Bankbeziehung zur UBS Schweiz, sowohl unter seinem eigenen Namen als auch als wirtschaftlich Berechtigter verschiedener Firmen. “Früher waren die Banken mit einer kurzen Internet-Recherche zu ihren Kund:innen zufrieden”, sagt Carlo Lombardini, Rechtsprofessor an der Universität Lausanne. “Heute ist man da vorsichtiger. Was früher möglich war, dürfte heute nicht mehr durchgehen.”“Kein russischer Oligarch spaziert einfach so in eine Schweizer Bank” sagt Shumanov, der mit seinem Team von Transparency Russia im Exil arbeitet.

Zu Klyuevs Konten steht in der Verfügung, dass die Bundesanwaltschaft “nicht klären kann, ob dort auch Gelder vom russischen Steueramt liegen”, weil “die Komplexität der Diagramme es unmöglich macht, den Geldfluss nachzuvollziehen”. “Wenn Geld zuerst in die Schweiz überwiesen wird, dann nach Zypern transferiert wird, und am Schluss in anderer Verpackung wieder auf Firmenkonten der BSI in die Schweiz landet, dann ist das nichts anderes als klassische Geldwäscherei”, sagt Pieth zum Beschluss der Bundesanwaltschaft, Klyuevs Konten nicht zu untersuchen. “Nur: Welche Rolle spielt die Schweiz in der ganzen Geschichte?”, fragt er.

“Folgerichtig besteht kein Anlass, diesem Antrag Folge zu leisten, der hiermit abgewiesen wird”, hält die Verfügung in Bezug auf die beiden Konten fest.Die Bundesanwaltschaft bestätigt, dass die Firma im Besitz von Stepanov, Faradine Systems, im März 2010 gegründet wurde, also zweieinhalb Jahre nach dem Betrug – was die Schweiz aber nicht daran gehindert hat, von exakt diesem Konto 4 Mio. Franken einzuziehen.

Wir haben mehrere Anwält:innen, Parlamentsmitglieder und Rechtsprofessor:innen kontaktiert und sie um eine Stellungnahme zur Verfügung und den sich daraus ergebenden Ungereimtheiten gebeten. Eine weiteres Beispiel ist das Verfahren im Zusammenhang mit Immobilienkäufen in der Schweiz durch Artyom Chaika. Der Sohn des russischen Generalstaatsanwalts Yury Chaika gehörte zum engeren Kreis um den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Wegen “Korruption” und anderer Verbrechen in Zusammenhang mit einer privaten Reise nach Russland 2016 hat die Schweizer Bundespolizei Fedpol 2017 Klage gegen Schnell eingereicht. Die Anschuldigungen wurden später umformuliert zu “sich Vorteile in Form von Jagdausflügen verschaffen”. Unsere Interviewanfrage via seinen Anwalt liess Schnell unbeantwortet.

Vorausgegangen waren weitere prominente Fälle unter Laubers Führung, namentlich ein nicht protokolliertes Treffen mit Gianni Infantino, Präsident des Weltfussballverbands Fifa. 2023 wurde das Strafverfahren zu diesem Treffen eingestellt. “Zwar ist die Arbeit der Gerichtskommission, die für die Bundesgerichte und die Bundesanwaltschaft zuständig ist, nicht öffentlich. Wir sind aber dabei, uns mit der Aufsicht und Sanktionen zu befassen. Gegenwärtig gab es eine Veränderung in der Leitung mit dem klaren Willen des Staatsanwalts, das Gesetz umzusetzen”, sagt Carlo Sommaruga, Ständerat und Mitglied der Gerichtskommission.

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