Der Artikel untersucht die Verdrängung des Umweltproblems durch die Gesellschaft und die Reaktionen auf die Umweltverantwortungsinitiative (UVI). Sowohl die Verdrängung als auch die junge Generation, die sich für die UVI einsetzt, werden im Kontext des Klimawandels und der Notwendigkeit einer nachhaltigen Wirtschaft diskutiert.
Die meisten Kinder lernen sie irgendwann in der Primarschulzeit. Diese einfache, erschreckende Wahrheit: Die Menschen rotten Tiere aus, verschmutzen Wasser und Luft, gefährden ihre eigene Lebensgrundlage. Manche beschäftigt das sehr. Sie wollen etwas tun, malen Plakate für den Regenwald, essen kein Fleisch mehr, nehmen ihre Eltern mit an Klimademos. Für einige wird es die Grundlage einer Politisierung. Aber bei den meisten geschieht mit dem Grösserwerden etwas anderes: Sie gewöhnen sich daran.
Die Bedrohung, die einmal Angst gemacht hat, wird abstrakt. Man weiss es, aber man fühlt es nicht. Oder höchstens als vages schlechtes Gewissen. Wem fällt der Feueralarm noch auf, wenn er ununterbrochen warnt? Die polemischen Reaktionen auf die Umweltverantwortungsinitiative (UVI), die am 9. Februar an die Urne kommt, haben viel mit dieser Verdrängungsleistung zu tun. Die Jungen Grünen, die das mit dem Verdrängen nicht so gut hingekriegt haben, werden in die Rolle von Kindern gedrängt, die empört aus der Schule kommen und dringend die Wale retten wollen: Herzig, aber haben wir nichts Wichtigeres zu tun? Sie wollen zwar bloss etwas erreichen, das entscheidend für das Überleben der Menschheit ist: «Wirtschaftliche Tätigkeiten dürfen nur so viele Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben» – so der Kernsatz der UVI. Die Jungen Grünen haben also den Anspruch, die Grundsätze der Aufklärung ernst zu nehmen und aus wissenschaftlichen Erkenntnissen politisches Handeln abzuleiten. Was sagt es über die Gegenwart aus, wenn schon im Vornherein alle wissen, dass dieser Satz nicht mehrheitsfähig ist? Wie wenig die UVI ernst genommen wird, zeigt sich etwa daran, dass sich die Medien nicht einmal die Mühe machen, deren Grundlagen seriös zu recherchieren. Insbesondere die NZZ bringt dauernd die Konzepte des ökologischen Fussabdrucks und der planetaren Grenzen durcheinander. Die Jungen Grünen beziehen sich auf Letztere. Erarbeitet hat dieses Konzept eine illustre Gruppe von Wissenschaftler:innen, darunter der Niederländer Paul Crutzen, Chemienobelpreisträger und Erfinder des Begriffs «Anthropozän», und der Deutsche Hans Joachim Schellnhuber, einer der weltweit bekanntesten Klimaforscher. Sie gaben ihrer Publikation im Fachmagazin «Nature» 2009 den Untertitel «A Safe Operating Space for Humanity», Ein sicherer Handlungsraum für die Menschheit. Es geht bei den planetaren Grenzen um ein elementares Eigeninteresse der Menschen: zu wissen, wann die tiefgreifenden Veränderungen, die unsere Spezies auf diesem Planeten anrichtet, für uns selbst gefährlich werden. Zu den Grenzen, die bereits überschritten sind, gehören die Klimaveränderung, der Biodiversitätsverlust und die Verschmutzung durch Chemikalien. Eine Wirtschaft, die immer weiterwachsen muss, um stabil zu bleiben, auf einem Planeten, der gleich gross bleibt: Dass das auf die Dauer Probleme gibt, ist auch so eine einfache Wahrheit, die schon Zwölfjährige verstehen können. Um sie zu verdrängen, hat man Konzepte wie die «drei Säulen der Nachhaltigkeit» erfunden: Ökologie, Wirtschaft und Soziales werden gleich stark gewichtet. Darauf bezieht sich etwa der Schweizer Bauernverband, um seine Nein-Parole zu begründen: Nachhaltigkeit bestehe «aus drei Säulen und weder die Wirtschaft noch die Gesellschaft können einen so schnellen und drastischen Wandel unserer Lebensweise verkraften». Kann es der Planet verkraften, wenn der Wandel ausbleibt? Und wie viel Selbstbetrug braucht es, um ernsthaft zu behaupten, die Stabilität der Biosphäre und die Stabilität der Wirtschaft seien gleich zu gewichten? Die Biosphäre ist sehr gut ohne die Wirtschaft ausgekommen – Hunderte von Millionen Jahre lang. Wie lange käme wohl die Wirtschaft ohne die Biosphäre aus? Auch Verdränger:innen können die News von Rekordtemperaturen und Waldbränden nicht ganz ausblenden. Aber die Bedürfnisse der Wirtschaft scheinen doch immer dringender, unmittelbarer als jene des Planeten. Wenn eine Firma schwächelt, drohen Entlassungen; wenn es viele Firmen sind, droht eine Rezession – da bleibt keine Zeit, zu fragen, ob diese Firmen überhaupt etwas Sinnvolles herstellen. «Unersättlichkeit ist für die kapitalistische Wirtschaft überlebensnotwendig», schreibt der Ökonom Mathias Binswanger. Um den Planeten zu retten, sollten wir weniger konsumieren, um die Wirtschaft anzukurbeln, aber mehr – in der Psychologie nennt man diese Sackgasse entgegengesetzter Anforderungen «Doublebind». Statt gelähmt in der Sackgasse zu bleiben, bis der kaputte Planet irgendwann direkt eine Rezession verursacht, könnten wir versuchen, Auswege zu finden – etwa das Modell der «Donut-Ökonomie» ernst nehmen, das die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth vorschlägt: Sie kombiniert die planetaren Grenzen mit den sozialen Grundbedingungen, die für ein gutes Leben nötig sind. Dazu gehören genug Nahrung, Gesundheit, Gleichstellung und Friede
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