Der abtretende SP-Ständerat PaulRechsteiner trifft die junge SP-Nationalrätin Tamarafuniciell zum Generationengespräch. Ort: unterwegs im Zug. Thema: die Rolle der Linken in der Schweiz.
«Als ich ins Parlament kam, war ich der Erste, der ohne Krawatte auftrat»: Paul Rechsteiner .Bahnhof Bern, Gleis 12, Freitag, 9. Dezember, 9.30 Uhr. Tamara Funiciello wartet schon auf dem Perron. Kurz vor der Abfahrt erscheint zügigen Schrittes auch Paul Rechsteiner. Kaum sind alle im Zweitklassabteil angekommen, beginnt das Gespräch.
Rechsteiner: Auch die Art Häme ist gleich geblieben. Bei keiner bürgerlichen Parlamentarierin würde man es sich erlauben zu sagen, sie sei einfältig, wie es bei Baume-Schneider geschah, Stichwort «Honigkuchenpferd». Und jetzt hat sie das Justizdepartement, ein Ministerium mit grossem gesellschaftspolitischem Potenzial.
Rechsteiner: Der Generalstreik 1918 war sicher das grösste innenpolitische Ereignis des 20. Jahrhunderts und der Achtstundentag der erfolgreichste Punkt im Programm des Oltner Aktionskomitees. Das ist bis heute wegweisend! Im Kampf um die Interpretation ist die Bedeutung aber lange verdrängt worden. Aus bürgerlicher Sicht war das der Versuch einer Sowjetisierung – und der Einsatz der Armee die Rettung der Schweiz.
Funiciello: Ich selbst bin mit siebzehn durch einen Streik politisiert worden. Mein Vater, der in der Wifag-Maschinenfabrik arbeitete, hatte gestreikt und verlor dabei den Job. Man darf das nicht romantisieren: Der Druck auf die Angestellten und ihre Familien ist enorm. Das ist kein Plädoyer gegen den Streik, er ist unsere wirkungsmächtigste Waffe. Aber ich habe ein wenig Mühe, wenn Leute sagen: «Toll, ein Streik.» Wenn du mittendrin steckst, sieht es anders aus.
Funiciello: Und doch bin ich konsterniert, wenn ich an die Radikalität und die Breite der Frauenstreikbewegung von 2019 denke. Und jetzt, dreieinhalb Jahre später? Seit 2014 gibt es ein Gesetz zur Lohngleichheit, aber nicht einmal das ist umgesetzt. BVG-Reform, AHV, Lohngleichheit, all die Vorschläge, die wir brachten: gescheitert an der rechten Mehrheit.
«Der Generalstreik ist bis heute ein zentraler Orientierungspunkt für die Linke.» – «Und auch mit dem zweiten grossen Bewegungsereignis im 20. Jahrhundert, dem Frauenstreik 1991, begann eine völlig neue Geschichte»: Tamara Funiciello und Paul Rechsteiner in der ehemaligen Eisenbahnerbeiz Flügelrad beim Oltner Bahnhof.Rechsteiner: Ich bin katholisch aufgewachsen und war Ministrant. Da wollte ich nicht aus einer Kirche aus- und in eine neue eintreten.
Rechsteiner: Die Linke muss fix sein, wenn sie auf der Höhe bleiben will – in der Wahrnehmung dessen, was sich konkret abspielt. Aber sie muss auch offen für eine Neuorientierung sein. 1985 war ich in der Sowjetunion, da hat sich niemand vorstellen können, dass die sechs Jahre später implodiert. Seit dem 24. Februar ist wieder alles vollkommen anders. Eine Linke, die nicht bereit ist, sich auf Lernprozesse einzulassen, hat den Namen nicht verdient.
Rechsteiner: Die Linke hat da eine grosse Chance. Aber ist die SP imstande, sich hinsichtlich der Vertretung von Migrant:innen zu erneuern, wie es mit der Frauenvertretung im Parlament passiert ist? Ein wichtiger Teil meines politischen Vermächtnisses ist mein letzter Vorstoss, das Ius soli, der Schweizer Pass für alle in der Schweiz geborenen Menschen. Vorerst ohne jede Chance, aber bewusst im Ständerat gesetzt.
Rechsteiner: Die Schweiz war auch ein dynamischer Ort für die Entwicklung des Arbeitnehmerschutzes – bis hin zur Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Diese wurde mit Konferenzen in der Schweiz vorangetrieben. Und 1847/48 fand die europaweit einzige erfolgreiche Revolution in der Schweiz statt. Darum sind viele Revolutionäre hierhergeflüchtet. Und die Schweiz hat gegenüber den Potentaten das Asylrecht verteidigt.
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