Weihnachten ohne Geschenke? Expertinnen aus Psychologie, Philosophie und Ökonomie haben Ihre Fragen dazu beantwortet.
Wie würde sich unsere Gesellschaft verändern, wenn wir die Tradition des Schenkens an Weihnachten aufgeben? Wie stark würde das den Einzelhandel ins Wanken bringen? Könnten wir uns durch den ausbleibenden Konsum mehr auf zwischenmenschliche Beziehungen fokussieren? Oder würde ein Ritual verloren gehen, das uns verbindet?
Regine Götz: Ich denke, dass Kinder, die sich daran gewohnt sind, jährlich Weihnachtsgeschenke zu erhalten, herb enttäuscht wären, wenn es plötzlich anders wäre. Die Macht der Gewohnheit ist da schon sehr stark... Wenn sie von klein auf ohne Geschenke zu Weihnachten aufgewachsen sind, so denke ich, dass die einen das akzeptieren könnten, sofern sie nicht allzu rebellisch veranlagt wären.
Barbara Bleisch: Schenken erfüllt viele Menschen mit Freude – manchmal mehr, als beschenkt zu werden. Vielleicht haben Ihre Familienmitglieder auch einfach Freude, sich doch etwas zu schenken? Solange das Schenken nicht zur Pflichtübung verkommt, hat es ja auch sein Schönes, nicht? Barbara Bleisch: Was meinen Sie mit dem Anlügen? Brauchtum und Traditionen gehen meist auf Geschichten zurück, die man sich weitererzählt über Generationen hinweg. Die Sache mit dem Verbrennen des «Böögs» in Zürich ist ja auch ein «Märchen», wenn Sie so wollen, aber halt eine Tradition, die für einige zum Brauchtum gehört, das wir pflegen sollten.
Monika Bütler: «Weihnachten ohne Geschenke» ist ein Gedankenexperiment, es soll zum Nachdenken anregen. Zum Beispiel, ob wir Geschenke machen, weil es uns Freude macht oder weil wir uns gezwungen sehen. Weihnachten ist aber tatsächlich ein Gesamtkunstwerk, bei dem es schwierig ist, einzelne Teile «von aussen» wegzunehmen.
Barbara Bleisch: Danke vielmals für Ihren Kommentar, ich stimme Ihnen ganz zu! Das wirkliche Geschenk ist zwecklos. Es dient nicht der Bestechung, der Umgarnung oder Erziehung des Gegenübers, sondern festigt die Beziehung. Das kann es nur, wenn sich im Geschenk zeigt, dass wir uns ums Gegenüber sorgfältig Gedanken gemacht haben, und das ist an einem guten Geschenk auch das Grossartige: Dass wir uns gesehen und verstanden fühlen im Geschenk.
Monika Bütler: Es braucht keine Weihnachten, um Geschenke zu machen! Das zeigen nicht nur unterschiedliche Kulturen, der Zeitpunkt von Geschenken verschiebt sich immer wieder. Heute haben wir eine viel stärkere Bedeutung der Geschenke an Kindergeburtstagen als früher.Barbara Bleisch: Gerade an Weihnachten denken viele an Menschen, die in Not sind, und spenden. Das eine schliesst das andere aber nicht aus.
Monika Bütler: Restaurants generieren im Dezember rund einen Drittel mehr Umsatz als in anderen Monaten. Ein Teil davon dürfte wegen Weihnachten sein, ein Teil wegen des Jahresabschlusses der Firmen. Interessanterweise verlegen immer mehr Firmen ihre «Weihnachtsessen» in den Januar. Das zeigt einmal mehr, wie stark sich die Menschen und Firmen anpassen können. Ich selber bin froh, um die Weihnachtszeit zu Hause essen und kochen zu können.
Barbara Bleisch: Das, was einige als «Konsumrausch» bezeichnen, würde wegfallen. Und jene, die das Suchen von Geschenken als Belastung empfinden, wären wahrscheinlich froh. Allerdings ist Zeit zu schenken oft damit verbunden, dass sich die Beschenkten auch Zeit nehmen mögen oder können. Ich schenke nur gerne Zeit, wenn mir jemand signalisiert, dass er oder sie sich gerade darüber speziell freuen würde.
Barbara Bleisch: Ich kenne Ihre Frage gut! Gerade wenn Kinder älter werden, haben Sie oft nur noch sehr grosse Wünsche, und Geld zu schenken, ist nicht so schön. Vielleicht hilft ein Mittelweg? Einen finanziellen Zustupf zu schenken, dazu aber immer noch etwas anderes, das auch klein sein kann: etwas zum Anziehen oder zum Essen oder ein Gutschein für eine gemeinsame Unternehmung.
Barbara Bleisch: Im Schenken sollte es ums Gegenüber gehen, um seine Wünsche und Interessen. Jemandem zum Beispiel ein Fitnessabo zu schenken, weil man ihn zu mehr Fitness erziehen will, oder ein Kochbuch, obwohl sie nicht gern kocht, ist nicht im Sinne des Schenkens. Wie freuen uns nicht, wenn uns jemand implizit zurechtweist oder erzieht mit einer Gabe.Monika Bütler: Soweit ich weiss nicht.
Barbara Bleisch: Das käme sicher darauf an, wie die Eltern ihren Kindern erklären würden, dass auf Weihnachtsgeschenke verzichtet wird. Bekämen sie beispielsweise an einem anderen Tag Geschenke, weil die Eltern sich wünschen, dass es am Weihnachtsabend ruhiger zu und her geht und der Fokus auf die Geschenke kleiner wird, wäre das für Kinder kaum bedrohlich.
Monika Bütler: Die Inflation ist mindestens für den Moment vorbei. Das heisst aber nicht, dass es nicht Güter gibt, die teurer werden . Ob die Inflation einen Einfluss auf die Bereitschaft hat zu schenken? Gute Frage. In den USA haben während der Zeit der hohen Inflation 40% der Leute angegeben, weniger schenken zu wollen. Ob sie dies auch getan haben, lässt sich nicht verifizieren.
Monika Bütler: Ich nehme an, Sie meinen Weihnachten als Ganzes? Das würde dann auch heissen, dass die Feiertage wegfallen würden und keine Festlichkeiten mehr privat oder geschäftlich organisiert würden. Wenn ich die Analogie zur Pandemie sehe, dann erwarte eine relativ schnelle Anpassung der Firmen an die neue Situation. Kurzfristig dürfte es zu gewissen Einbussen für Restaurants und gewisse Detailhändler.
Barbara Bleisch: Das klingt nach einer schönen Verabredung. Gemeinsam zu essen, ist ja auch ein Geschenk: die Zeit, die man zusammen verbringt, das Essen, das man gemeinsam geniesst. Es geht oft vergessen, dass sich Materielles zu schenken, gar nicht für alle drin liegt. Danke umso mehr für Ihren Kommentar!Monika Bütler: Für gewisse Wirtschaftszweige wäre ein Wegfall der Geschenke schwierig.
Barbara Bleisch: Das kann man sicher so handhaben. Aber vielleicht braucht es kein solches «sollen» für die ganze Gesellschaft? Letztlich ist es vielleicht eine Frage der Abmachung innerhalb eines Freundeskreises oder einer Verwandtschaft. Wenn sich niemand genötigt fühlt zurückzuschenken, wenn er oder sie beschenkt wird, ist es aber auch schön, das Schenken als freiwilligen Akt beizubehalten.
Barbara Bleisch: Der christliche Gehalt von Weihnachten wird in einer pluralistischen Gesellschaft tatsächlich oft nicht mehr so betont, wenn er auch vielen Menschen nach wie vor wichtig ist und viel bedeutet. Geschenke spielen aber auch in anderen Religionen und Kulturen eine Rolle. Und die Tradition des Schenkens geht – so zumindest viele Quellen – im Christentum nicht auf die Geburt Jesu zurück, sondern auf St. Nikolaus.
Monika Bütler: Bisher sehen wir gesamtwirtschaftlich noch keinen Zusammenhang zwischen Geschenkekäufen und Umweltbewusstsein. Mindestens habe ich auf die Schnelle keine wissenschaftliche Evidenz gesehen. Auf der individuellen Ebene dürfte dies aber so sein: wer nachhaltig unterwegs ist, wird es auch bei den Geschenken sein.
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