Der Skandal um Suggestive Erinnerungen und satanistische Ritualverbrechen in Schweizer Psychiatrien hat die Behandlung von Traumapatienten grundlegend verändert. Die einst beliebte Klinik Littenheid wurde zum Symbol für fragwürdige Therapierichtlinien. Die Aufarbeitung der Affäre wirft nun Fragen nach der Qualität der Versorgung auf und zeigt die Herausforderungen, die die Schweizer Psychiatrie bewältigen muss.
2022 und 2023 wurden publik, dass in Schweiz er Psychiatrie n Therapeuten arbeiteten, die mit suggestiven Fragen falsche Erinnerungen förderten. Eine ganze Patientengruppe geriet unter Verdacht. Das hat Folgen bis heute.Kurz gefasst, erzählt sich die Geschichte so: Angestossen von einer breiten Recherche von SRF berichten 2022 und 2023 die Medien landesweit über Kliniken und Psychotherapeuten, die überzeugt sind, dass rituelle Gewalt mit satanistischen Ritualen mit Kindern existiert.
Einige Therapeuten haben solche falschen Erinnerungen mit suggestiven Fragen – beabsichtigt oder nicht – bei Traumapatientinnen und -patienten gefördert. Viele Fälle betreffen die Klinik Littenheid im Kanton Thurgau. Die Politik wird aktiv und leitet eine Untersuchung ein. Der Oberarzt der Klinik Littenheid wird entlassen. Am 1. April 2023 bekommt die Klinik auch einen neuen ärztlichen Direktor. Missstand aufgedeckt, Problem behoben. Alles gut? So einfach ist es nicht. Mit der Aufarbeitung des Themas des rituellen Kindesmissbrauchs, für den nie irgendwo ein Beweis gefunden werden konnte, bekam in der Schweiz die ganze Sparte der Therapie von Personen mit einer dissoziativen Identitätsstörung (DIS) einen zweifelhaften Anstrich. Oder wie sich ein Betroffener, der anonym bleiben möchte und den wir hier deshalb W. Rust nennen, ausdrückt: «Die DIS-Diagnose wurde in den Dreck gezogen.» Denn Personen, die von satanistischen Ritualen erzählten, hatten meist diese Diagnose aus der Traumatherapie erhalten, selten eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Bei einer dissoziativen Identitätsstörung wechselt die Person aufgrund äusserer Trigger in einen Zustand, in dem sie komplett anders handelt als üblich. Sie kann sich an diese Zeit nachträglich oft nicht erinnern. Häufig sind dies kindliche Zustände. Denn man geht davon aus, dass dissoziative Identitätsstörungen vor allem dann entstehen, wenn Kinder in den ersten sechs Jahren körperlich misshandelt und psychisch vernachlässigt werden. Wenn eine Dissoziation, ein Abdriften in eine andere Welt aufgrund von Missbrauch, zu einer Überlebensstrategie wird, können die Zustände im Erwachsenenalter wiederkehren.W. Rust litt zwanzig Jahre an Depressionen, Ängsten und unerklärbaren körperlichen Beschwerden. Erst mit 41 Jahren wurde eine posttraumatische Belastungsstörung und eine partielle dissoziative Identitätsstörung diagnostiziert. 2022 kam er zur Therapie in die Klinik Littenheid. «Nach einer jahrzehntelangen medizinischen Odyssee war ich endlich am richtigen Ort. Ich wurde verstanden und menschenwürdig behandelt.» Er war zweimal in der Klinik mit dem Unterbruch von einem halben Jahr, der Fokus lag da noch auf der Stabilisierung seiner Situation. «Beim dritten Aufenthalt war die Traumakonfrontation geplant, dazu kam es jedoch nicht mehr. Zwei Wochen vor dem Eintritt wurde mir mitgeteilt, dass ich nicht eintreten könne, da die Klinik Patienten mit bestimmten Diagnosen nicht mehr aufnehmen dürfe.» Später habe sich herausgestellt, dass seine partielle dissoziative Identitätsstörung das Ausschlusskriterium war. Er sei in ein Loch gefallen: «Endlich wurde ich richtig therapiert und dann von heute auf morgen fallengelassen.»Drei Quellen sagen, Patienten seien sogar vor die Tür gestellt worden. Der heutige ärztliche Direktor, Rafael Traber, schreibt auf Anfrage, ihm sei nicht bekannt, dass Patienten aufgrund ihrer Diagnose der Austritt aus der Klinik nahegelegt worden sei. Neue Patienten wurden jedenfalls nicht mehr aufgenommen. Laut der Klinik nur «für eine gewisse Zeit». Es sind dort aber auch aktuell keine Patienten mit einer dissoziativen Identitätsstörung in Behandlung. Wer ausserhalb der Kliniken nach Hilfe suchte, hatte Mühe, sie zu bekommen. Nicht nur, weil es landesweit ohnehin an Therapieplätzen und Therapeuten für psychische Erkrankungen mangelt, sondern auch, weil letzteren die Fälle zu heikel wurden. «Manche Therapeuten wurden vorsichtig, nachdem einzelne Kollegen unter die Räder gekommen waren», sagt Jochen Binder, leitender Arzt der Spezialstation Traumafolgestörungen in der Integrierten Psychiatrie Winterthur-Zürcher Unterland (IPW). Die Klinik Littenheid ging früher einen sehr eigenen Weg. Jetzt ist es komplett anders: Es werden nur noch evidenzbasierte Therapien angewendet. Also Therapien, die wissenschaftlich erwiesen einen Nutzen haben, wie die sogenannte DBT-PTBS. Diese folgt einem strengen Muster: Nach einer vierwöchigen Vorbereitungsphase wird der Patient mit dem Trauma konfrontiert. Laut der Klinik werde das mit «einer gewissen Flexibilität» gehandhabt.Laut Binder reicht das nicht. Er sagt: «Die DBT-PTBS-Therapie funktioniert für 50 bis 65 Prozent aller Traumapatientinnen und -patienten. Was sollen wir also mit den übrigen tun? Wir müssen individuell schauen und etwas anderes suchen.» Das sei wie bei Antibiotika, wo auch nicht ein Mittel allen Patienten helf
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